Picknick auf Golgatha

Was bleibt Gottes gefallenen Engeln heute noch zu tun? Das Böse ist schon lange in der Welt, die Menschen haben es selbst erfunden. Im freien Fall schauen diese Engel wie Zeugen auf die Erde. Hier hat sich der Mensch in einem von Götzen und Heilsbringern dominierten Konsumtempel mehr oder minder bequem einge­richtet. In seinem Ringen um Anerkennung und Lebenssinn hat er sich seine eigene Hölle geschaffen, sich selber versklavt. Das Inferno sind wir, ist hier. Rettung ist nicht in Sicht; funktions­fähige Flügel lassen sich eben leider nicht bei Ebay ersteigern …

Rodrigo García, geboren 1964 in Buenos Aires, hält mit «Pick­nick auf Golgatha» eine mehrstimmige Brandrede auf den Zu­stand der Welt. Der Fall der Engel auf die Schädelstätte wird nicht nur zu einer Auseinandersetzung mit falschen Heilsver­sprechen, sondern auch zum Versuch, mit dem In­-die­-Welt-­ge­worfen­-Sein fertig zu werden. Denn sterben muss jeder, und die Angst vor dem Tod ist furchtbar. Das 2011 vom Autor selbst ur­aufgeführte Stück zeigt die Kultur und Ikonographie des christ­lichen Abendlandes als Quelle der Gewalt. Es ist eine wütende Abrechnung mit der Haltungslosigkeit unserer Welt, die allein in der Bewahrung Sinn findet, aber nur durch Zerstörung Neues schaffen kann.


Cyrano de Bergerac

Seine Nase eilt ihm (fast) genauso weit voraus wie sein Ruhm. Und wer es wagt, ihn wegen seines allzu stark ausgebildeten Riechorganes aufzuziehen, hat wenig zu lachen. Schliesslich führt der Dichter Cyrano de Bergerac seinen Degen ebenso treffend wie er seine Worte zu setzen vermag; Rede­ und Fechtduelle mit ihm sind gleichermassen gefürchtet. Und doch ist der vielbegabte Dichter und Soldat untröstlich weil hoffnungslos verliebt in seine schöne Cousine Roxane. Er schämt sich einfach zu sehr für sein Äusseres, fühlt sich der Auserwählten unwürdig und fürchtet die Zurückweisung mehr als zu riskieren, ihr seine Liebe zu gestehen. Als er erfährt, dass ein Kamerad seines Regiments, der junge Adelige Christian de Neuvillette, seiner Roxane ebenfalls verfallen ist, leiht ihm der empfindsame Poet heimlich sein Talent, um Roxane für Christian zu gewinnen. Mit Erfolg: Roxane heiratet den attraktiven, aber etwas einfältigen Kadetten heimlich, bevor dieser in den Krieg zieht. Als der Kommandeur der französischen Truppen, Graf Guiche, von der Verbindung erfährt, schickt er, von Eifersucht gepackt, de Neuvillette und Cyrano umgehend an die vorderste Front – mit fatalen Folgen.

Edmond Rostands berühmtes Liebesdrama über den ersten Ghostwriter der Literaturgeschichte feierte im Winter 1897 in Paris Premiere. Im französischen Original in Alexandriner ge­fasst begeistert «Cyrano de Bergerac» seither sein Publikum im Theater wie im Kino durch treffsichere Pointen, mitreissende Gefechte, vollendete Poesie und anrührende Liebesszenen. Als ernsthafteres Vorbild der heutigen romantischen Komödien stellt Rostands Klassiker klug wie charmant die Frage danach, wie altruistisch wahre Liebe sein kann und sollte, was äusserer Schein mit inneren Werten zu tun hat und ob im Krieg und in der Liebe wirklich alles erlaubt ist.


Seymour oder ich bin nur aus Versehen hier

Leo, Heidi, Oskar, Robert und Max müssen abspecken. Ihre Eltern haben sie für viel Geld in die Obhut von Dr. Bärfuss gegeben, der in den Bergen hoch über der Baumgrenze ein renommiertes Kurhaus betreibt. Tagsüber übt sich die adipöse Jugend bei Liege­ und Sonnenkuren streng in der vom Klinikchef vorgegebenen Disziplin, nachts kommt es zum – ebenfalls geplanten – Schokoladen­ und Kuchenexzess. Als Vorbild und Motivation haben die fünf den dünnen Sebastian vor Augen, der allerdings seltsam regungslos auf der Gemeinschaftscouch der Station liegt. In der Abgeschiedenheit und Untätigkeit des Klinikalltags wünschen sich die jungen Kurgäste bald zu ihren Familien ins Tal zurück, sehnen sich sogar nach der Schule. Da aber die Patienten trotz aller Mühsal nicht an Gewicht verlieren und auch die erlösende Generaluntersuchung durch Dr. Bärfuss auf sich warten lässt, ist an ein Ende des Martyriums nicht zu denken. In Leos Kinderzimmer daheim wohnt ohnehin bereits – bis zu seiner Entlassung, so lautet die Abmachung – sein schlanker Cousin Seymour aus England. Kleingeld, um seine Eltern anzurufen, hat Leo schon lange nicht mehr, und als dann Max’ Mutter plötzlich aufhört, ihrem Sohn Kuchen zu schicken, bekommen es die jungen Patienten langsam mit der Angst.

Zwischen «Frühlingserwachen», «Der Zauberberg» und «Warten auf Godot» pendelnd, hat Anne Lepper mit «Seymour» eine düster­groteske Parabel auf den postmodernen Optimierungswahn des Menschen und die permanente Angst, nicht zu genügen, geschrieben. Die Autorin dieses böse­melan cholischen Werkes gehört zu den profiliertesten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik. Jahrgang 1978, absolvierte sie nach ihrem Geschichts­ und Literaturstudium am Literaturinstitut in Biel ein Masterstudium in Literarischem Schreiben. «Seymour» entstand 2011 als Werkauftrag für den Stückemarkt des Berliner Theatertreffen.


Ich werde hier sein im Sonnenschein…

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Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten

Lenin hat 1917 das Exil in der Schweiz nicht verlassen, sondern hier die Sowjetunion gegründet. Russland ist von Minsk bis zum Ural verstrahlt und unbewohnbar, die Amexikaner sind in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit abgesunken und haben ihre Grenzen dicht gemacht; aufstrebende Staaten sind Hindustan und Korea. Neu-Bern ist eine der Hauptstädte des bolschewistischen Riesenreichs, das bis nach Schwarzafrika reicht, wo Schweizer Divisionäre das Land zivilisiert, urbanisiert, Schulen, Krankenhäuser, Universitäten und auch Militärschulen aufgebaut haben. «Die Schweiz, sie verdankt Afrika viel.» Vor allem Nachschub an Menschenmaterial, das den Krieg führt, der nun schon so lange dauert, dass sich niemand mehr an Frieden erinnern kann.

Aus Nyasaland (heute Malawi) stammt die Hauptfigur des Romans, ein afrikanischer Offizier, der vom Obersten Sowjet als Parteikommissär in die Schweizerische Sowjetrepublik beordert wird. Er soll in Neu-Bern einen ideologisch verdächtigen jüdisch-polnischen Offizier festnehmen. Zu Pferd verfolgt er den Flüchtigen Richtung Alpen aareaufwärts durch ein kriegsmüdes, zerfallendes Land, bis er schliesslich durch einen Eingang im Schreckhorn das Réduit betritt. Dieses mythische Zentrum des Landes, «Kern, Nährboden und Ausdruck unserer Existenz», trotzt seit 96 Jahren den Angriffen der Faschisten. In den unendlichen Gängen des Réduits findet der Kommissär zwar den Gesuchten, verliert sich jedoch unter dessen Führung in einer Fülle von psychedelischen Eindrücken, bis er es schafft, die Alpenfestung gen Süden, gen Afrika zu verlassen.

Der Roman des polyglotten Schweizer Autors Christian Kracht erschien 2008. In ihm gehen Geschichtsparodie, Sprachkritik, Dystopie, Phantastik und Poesie eine wundersame Verbindung ein, die direkt ins Schweizer Herz der Finsternis führt. Und so wird das Stück in einem vor den Toren Berns gelegenen Steinbruch spielen, der seit etwa 650 Jahren in Betrieb ist.


Volpone oder der Fuchs

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Volpone, der Fuchs, hat keine Erben, jedoch ein nicht allzu bescheidenes Vermögen. Auf dem Sterbebett liegend, bietet er demjenigen sein Erbe an, der ihn am besten behandelt – und am meisten in ihn investiert. Doch Volpone spielt falsch und ist in Wirklichkeit kerngesund, die Wette auf den eigenen Tod also ein einziger Bluff.

Zusammen mit seinem Verbündeten Mosca, die Mücke, spielt Volpone lustvoll ein risikoreiches Spiel: Sie denken, zusammen sind sie schlauer als der Advokat Voltore, der mit einem goldenen Becher als Gastgeschenk kommt; gerissener als der Geizkragen Corbaccio, der einen Ring mit Diamanten präsentiert bevor er seinen eigenen Sohn zum Wohle Volpones enterbt; klüger als der Kaufmann Corvino, der sein letztes Geld bringt und bereit ist, seine eigene Frau Colomba zu prostituieren, damit Volpone ihn zum Alleinerben macht. Beim von Mosca herbeiintrigierten und erzwungenen Stelldichein mit Colomba kommt es jedoch zum Skandal, weil Leone, Corbaccios enterbter Sohn, mit gezücktem Degen das Tête-à-Tête verhindert. Vor Gericht wird der Fall aufgerollt, doch nach wie vor ist die Gier nach Gold grösser als der Wahrheitssinn der Zeugen, und es braucht einige Zeit, bis der alles durchschauende weise Oberrichter konstatiert: «Verbrecher mästen sich am Bösen wie am Gras das Vieh, bis sie die Schlachtbank ruft. Dann bluten sie.» Bis dahin jedoch haben die Erbschleicher genügend Zeit, ihre von Geiz, Gier, Vorteilsdenken und Opportunismus verkrüppelten Charaktere auf das trefflichste zu enthüllen und daraus eine Menge an Komik zu entwickeln. Die sprechenden Namen sind deutlich: Geier, Habicht, Rabe, Krähe und auch Mücke wittern das Aas des Fuchses und vergessen darüber alles, was Menschsein eventuell ausmacht.

Im gleichen Jahr wie «König Lear» aufgeführt (1605) ist «Volpone» ein Stück ganz anderer Art: Als Vorläufer der Typenkomödie – Molières «Geiziger» scheint hier schon durch – macht diese Komödie den Zuschauer zum Mitwisser und führt eine groteske Galerie von Menschen mit tierischen Eigenschaften vor.

Die Regisseurin Claudia Bauer, geboren 1966 in Landshut, inszenierte den „Volpone“ in der Spielzeit 2013.2014 am Konzert Theater Bern in einer eigenen Fassung und ihrer kräftigen und von den biomechanischen Prinzipien Meyerholds inspirierten Spielweise. Für Graz wird sie die Inszenierung adaptieren und neu einrichten.

Freie Bearbeitung von Stefan Zweig


Der zerbrochne Krug

Gerichtstag in Huisum. Schon der kommt Dorfrichter Adam herzlich ungelegen. Findet sein Schreiber ihn doch am Mor­gen in kläglichem Zustand vor: klaffende Wunden an Kopf und Schienbein, das richterliche Ornat sichtlich ramponiert, von der Perücke fehlt gar jede Spur. Was genau dem Würdenträger über Nacht zugestossen ist, bleibt zunächst im Dunklen. Und jetzt auch noch das: Gerichtsrat Walter hat kurzfristig seinen Besuch angekündigt, um das Amt zu revidieren, Kassen und Re­gistraturen zu prüfen und Adams Prozessführung zu begut­achten. Als dann noch die aufgebrachte Marthe Rull mitsamt ihrer Tochter Eve und einem über Nacht auf so mysteriöse wie wüste Weise zerbrochenen Krug bei Gericht erscheint, wird die Lage im Gerichtssaal unübersichtlich. An diesem Tage geht es, so wird nach und nach deutlich, nicht bloss um ein unersetzba­res irdenes Erbstück aus dem Hause Rull, sondern um die Ehre des Fräulein Eve, um die ihres Verlobten Ruprecht Tümpel und nicht zuletzt um die des Dorfrichters höchstselbst. Hier ist ein Richter gezwungen, über seinen eigenen Sündenfall zu Gericht zu sitzen. Mit «Der zerbrochne Krug» schuf Heinrich von Kleist eine der brillantesten und bösesten Komödien der deutschsprachigen Theaterliteratur. Das 1808 bei der Uraufführung in Weimar beim Publikum noch durchgefallene Lustspiel hat seitdem Zuschauer wie Spieler durch seine bildhafte und pointenreiche Sprache und die ins Groteske spielende Suche nach Recht und Wahrheit in seinen Bann gezogen. Entstanden aus einem Dichterwett­streit mit Ludwig Wieland erzählt «Der zerbrochne Krug» den Sündenfall des Adam, der über seine Gier nach Eve stolpert und darüber den Krug und seine Ehre mit in die Tiefe reisst. Dass Kleist seinen tragikomischen, mit der Erbsünde belegten Anti­helden auch noch mit einem Klumpfuss ausstattet, macht ihn zu einem Verwandten von Ödipus und dem Leibhaftigen selbst; ihm bei seinen (Aus)Flucht-­ und Rechtsbeugungsversuchen zu­zuschauen, ist ein fast schon göttliches Vergnügen.


Die Ilias

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Vor 3000 Jahren wurde die «Ilias», eines der ersten Werk der Weltliteratur, geschrieben. Homer, von dem man heute nichts mehr weiss, war möglicherweise ein blinder Rhapsode, der das gewaltige Epos singend zum Besten gab. 24 Kapitel lang ist es, die Buchfassung umfasst ca. 600 Seiten.

Die Mytholgie lässt den Trojanischen Krieg durch einen Schönheitsstreit dreier Göttinnen ausbrechen. Aphrodite, Athene und Hera forderten Paris, Sohn des Trojanischen Königs Priamos auf zu bestimmen, wer von ihnen die Schönste sei. Aphrodite versprach ihm zum Dank für seine Wahl die Griechin Helena, die schönste Frau der Welt. Dieser Frauenraub entfesselte die Rache von Helenas Ehemann Menelaos. Dessen Bruder Agamemnon, ist der der militärische Oberbefehlhaber über eine riesige Flotte. Zahllose griechischer Stämme segeln gen Troja, belagern die Stadt und liefern sich vor der Stadtmauer mit den Trojanern Gefechte, bis endlich der schlaue Odysseus mithilfe eines hölzernen Pferdes einer Vorhut weniger Griechen Zugang zu der bis dahin unneinnehmbaren Stadt Troja verschafft. Troja wird von den Griechen dem Erdboden gleichgemacht.

Die «Ilias» schildert nur etwa zwei Monate im letzten Jahr des zehnjährigen Krieges. In ihr kommen weder die Vorgeschichte des Schönheitswettbewerbes, noch die jedem Kind bekannte List mit dem Trojanischen Pferd vor. Im Zentrum der «Ilias» steht vielmehr der Zorn des Achill über eine Ehrverletzung seines obersten Kriegsherrn Agamemnon, aufgrund der er seine Truppen vom Kampf fernhält, was die Griechen in eine empfindliche Defensive treibt. Schliesslich führt Achills Freund Patroklos statt seiner die Truppen Achills im Kampf an und fällt – getötet von der Hand Hektors, des Hoffnungsträgers der Trojaner. Der Verlust des geliebten Freundes versetzt Achill in Raserei, so dass er in einem Zweikampf Hektor tötet und dessen Leiche schändet. Zehn Tage währt die Kampfpause zur Bestattung der Leiche Hektors, danach wird weitergekämpft…

Die «Ilias» ist eine Geschichte voller Zweikämpfe und Schlachten, Gemetzel und Tod, Zweifel und Angst, Trauer und Leid, Willkür und Mut, die aber auch auf beiden Seiten der Frontlinie von Liebe und der Sehnsucht nach einem Ende des Krieges handelt. Zu Lebenzeiten Homers lag der Trojaische Krieg bereits etwa 400 Jahre zurück. Heute trennen uns von den Schlachten am Hellespont 3000 Jahre. Das grausame Gesicht des Krieges wird in der «Ilias» allerdings in einer Art und Weise beschrieben, dass man sich fragen muss, ob der Mensch in drei Jahrtausenden nichts dazugelernt hat. Möglicherweise ist die traurige Tatsache, dass Krieg unausrottbar zum Menschsein dazuzugehören scheint, auch Grund dafür, dass die «Ilias» ungebrochen populär und aktuell ist. Derzeit finden 35 Kriege und bewaffnete Konflikte weltweit statt, deren Folgen mittelbar und unmittelbar auch in der Schweiz spürbar sind.

Das Theaterprojekt stützt sich in einer notwendigerweise radikalen Strichfassung auf die jüngste Übersetzung des Werkes, die 2008 von dem österreichischen Autor Raoul Schrott mit dichterischer Freiheit und Poesie vorgenommen wurde.

Mit den Schauspielerinnen und Schauspieler des Ensembles sowie:

Bèti Adhanom, Kathy Bitar, Sahar Bitar, Nahid Ghanbari, Ayfer-Dersim Güler, Roza Isik, Mira Koch, Serge Pacome Bably, Samuel von Dach, Ahmad Eghdami, Julius Ernst / Mats Mader, Serge Ayaovi Gadeka, Yao Mawuli Hounkpati, Vinh Ngoc Nguyen 


Maria Stuart

Die schöne, leidenschaftliche, stolze Schottin Maria Stuart ist als Kronprätendentin in England unter Verstoss gegen jegliches Völkerrecht unter Hausarrest gestellt. Maria fühlt sich zwar nicht unschuldig, hat aber in 19 Jahren Haft jeden Machtanspruch aufgegeben, zu demütiger Frömmigkeit gefunden und die Schuld ihrer Meinung nach abgesessen.
«Umgeben rings von Feinden» regiert ihre englische Cousine Elisabeth als starke Königin, die mit erfolgreicher Kriegsführung und kluger Politik England befriedet hat. Als uneheliches Kind und unverheiratete Frau lebt sie allerdings mit der Angst, ewig um den Thron bangen zu müssen, den sie spätestens nach ihrem Tod an die katholische Maria oder deren Erben abgeben müsste.

42 englische Richter haben Maria Stuart nun zum Tode verurteilt, und Elisabeth obliegt es, dieses Todesurteil in letzter Instanz zu bestätigen oder aufzuheben. Die Herrscherin, die ihr Volk mehr lieben soll als sich selbst, die dessen Wohlergehen auch über den eigenen Tod hinaus erhalten will, entscheidet sich für das Todesurteil – und bleibt allein zurück, verlassen von ihren männlichen Beratern, die ihr Heil anderswo suchen.

Heute sind weltweit 20 der 180 Staatsoberhäupter Frauen. In Friedrich Schillers Königinnendrama, geschrieben 1800, kämpfen zwei Frauen in Spitzenpositionen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür, in einer Männerwelt anerkannt, geachtet und gerecht behandelt zu werden. Staatsraison gegen Gewissen, privates Gefühl gegen politisches Interesse – an dieser Konfliktlinie richtet Schiller die Handlung des Stückes aus.
Daneben ist «Maria Stuart» aber auch eine geschichtsphilosophische Betrachtung darüber, wie sich (irdisches) Recht und (himmlische und irdische) Gerechtigkeit zueinander verhalten; es beschäftigt sich mit der Rolle, die das Gewissen des Mächtigen als letzte seelische Instanz spielt, und stellt auch heute noch die Frage, welchen Preis Frauen in Machtpositionen bezahlen.


Kleiner König Kalle Wirsch

KONZERT THEATER BERN

Wie jedes Kind weiss, haust unter der Erde das Volk der Erdmännchen. Seit 1000 Jahren wird es gut und gerecht von Kalle Wirsch regiert, Herrscher über die Stämme der Wolde, Trumpe, Wirsche, Gilche und Murke. Zur Zeit hat Kalle Wirsch allerdings allen Grund, etwas unwirsch zu sein, denn ihm wird der Thron streitig gemacht. Zoppo Trump, Stammesfürst der Trumpe, fordert Kalle Wirsch nach alter Erdmännchensitte zum Zweikampf, der drei schwierige Aufgaben umfasst: einen Stein mit der Hand durchstossen, einen Kristall zum Wachsen bringen und den Gegner durch blosse Gedankenkraft schrumpfen lassen.

Doch da Pünktlichkeit die Höflichkeit der Könige ist, besagt das alte Erdmännchengesetz folgendes: Erscheint der Throninhaber zu spät zum Zweikampf auf der Erdmännchenburg, fällt die Krone kampflos an den Herausforderer. Diesen Umstand will sich Zoppo Trump zunutze machen, der nicht nur fies, sondern auch feige ist. Mit der Hilfe seines Kumpans, einer Ratte, stellt er Kalle Wirsch eine Falle nach der anderen – in die jener eine nach der anderen nicht hineinfällt. Pünktlich erscheint Kalle Wirsch auf der Erdmännchenburg, und der Zweikampf beginnt.

Der kleine König, der ein grosser (wenn auch etwas grummeliger) Herrscher ist, stammt von der deutschen Kinderbuchautorin Tilde Michels (1920 – 2012). Berühmt wurde Kalle Wirsch als Marionette der Augsburger Puppenkiste, einem grossen Publikum bekannt durch die Verfilmung des Marionettentheaters durch das deutsche Fernsehen im Jahre 1970. Diese Verfilmungen lassen noch heute kleine (und grosse) Kinderherzen höher schlagen. Für Kinder ist es eine Geschichte zum Mitfiebern, für Erwachsene zum Lachen. Die grossen Konflikte eines Königsdramas spielen sich hier im Kleinformat ab: Gut gegen Böse, Hinterlist gegen Ehrlichkeit, Opportunismus gegen Freundschaft. Bloss, dass im Kinderstück am Ende das Böse auf ein unschädliches Format zurechtgeschrumpft wird.


King Lear

Kultur - Theater

Es beginnt wie in einem Märchen: Ein alter König dankt ab und teilt sein Reich unter seinen Töchtern auf. Doch da seine Lieblingstochter nicht in der erwarteten Weise ihre Liebe zu ihm äussert, verstösst er sie und schlägt ihr Drittel den beiden älteren Schwestern zu. Er will lediglich die Königswürde behalten und abwechselnd bei einer von beiden wohnen. Doch schon bald verstört der Vater die Gastgeberinnen mit seiner Lebenslust, so dass sie ihn schliesslich vor die Tür setzen.

Sind die reich beschenkten Töchter böse Biester, die dem Alten einen guten Lebensabend nicht gönnen oder lebt der Senior auf dem Rücken der Kinder anarchistisch-rücksichtslos seine neu gewonnene Freiheit aus? Oder ist sein Wahnsinn gar eine Form von Demenz ? Wie oft bei Shakespeare sind die Motive rätselhaft und die Charaktere so vielschichtig, dass sich diese Fragen nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantworten lassen, vielmehr Spielraum für Interpretation geben. Fakt ist, dass Lear, von seinen älteren Töchtern verstossen, durch die Welt irrt. Er ist scheinbar wahnsinnig geworden, wird begleitet nur von einem Narren und dem treuen Grafen von Kent. In einer Sturmnacht wird das seltsame Trio um einen nackten, jungen Mann ergänzt, der sich seinerseits aus Verzweiflung über seinen Vater in den Wahnsinn geflüchtet hat.

Undank der Kinder und Willkür der Eltern, echte geistige Umnachtung und Wahnsinn als Schutzfunktion des Verstandes, dazu die professionelle Verrücktheit des Narren und die wahnsinnigen Naturgewalten in der Sturmnacht auf der Heide – die Begegnung der drei Verrückten und ihr philosophisches Gespräch ist Höhe- und Wendepunkt des Dramas, das zeigt, wie dünn der Firnis der Vernunft, wie ungeschützt der Mensch sämtlichen Kräften der Natur ausgesetzt und wie sehr er nichts weiter als ein nacktes, armes Tier ist, sobald er aller Ämter, Würden und äusserlicher Statuszeichen entkleidet ist.


Beute Mensch

KONZERT THEATER BERN

«Was dort gezeigt wird, begeistert – wie bereits der Auftakt auf der grossen Bühne des Theaters. Da streiten sich drei um ein Stück Kreatur, das sie sich für ihre Bedürfnisse erschaffen wollen wie einst in der Schauermär die drei Sennen ihr Tuntschi: Ein Sexspielzeug will der smarte junge Mann, eine omnipräsente gute Seele für Haushalt und Kinderbetreuung wünscht sich die Geschäftsfrau, eine 24-Stunden-Pflegemagd der alte Mann, und billig sollten sie alle sein. Wie der Umgang mit diesem gefragten Material sich so gestaltet, das erfährt man in intimen Kabinettauftritten. Dicht gedrängt sitzt Grüppchen um Grüppchen im Büro von Alexander Ott. Dem Chef der Fremdenpolizei gelingt es eindrücklich mit seinem selber verfassten knappen Text, sowohl das tagtägliche Dilemma der Behörden als auch das ganze Ausmass von Menschenhandel und -schmuggel aufzuzeigen, einem Geschäft, das heute lukrativer ist als der Drogen- und Waffenhandel.» Der Bund, 10. Juni 2013

«Das Projekt sprengt die Grenzen des Theaterraumes und rückt hinter die Bühne und in die Werkstätten vor, schickt das Publikum ins Büro der städtischen Fremdenpolizei oder in die Französische Kirche, gewährt Einlass in eine Wohnung, wo vormals der bundesrätliche Hüter des Schweizertums gelebt hat. Hier aber sitzt nun in der Küche eine Schauspielerin und erzählt in der Rolle der Arbeitgeberin die Geschichte einer Sans-Papiers-Haushalthilfe aus Kolumbien.» NZZ, 13. Juni 2013

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Das Bekenntnis eines Masochisten

Kultur - Theater

Herr M. ist ein ganz normaler Mann. Er arbeitet als Grafiker in einer Werbeagentur. Darüber hinaus ist Herr M. bekennender Masochist. Seitdem die süsse Janinka, seine erste Liebe, ihm ordentlich den Hintern versohlt hat, ist er dieser Abart der Sexualität verfallen. Leider aber lebt er in einem so dermassen öde vorsichtigen Land, in dem selbst Dominas ihre Kunden Fragebögen ausfüllen lassen, um Sicherheitsrisiken zu minimieren.

Herr M. macht sich auf die Suche nach stärkeren Kicks. Doch weder bringt die Teilnahme an einer Demonstration von Linksextremen beim Internationalen Währungsfonds die ersehnte Prügelei, noch der Besuch eines Skinhead-Konzerts in der Verkleidung eines dunkelhäutigen Ausländers. Glücklicherweise entdeckt Herr M. schliesslich, dass das Arbeitsleben eine Quelle herrlicher Demütigungen
sein kann. Fortan findet er vollumfängliche Befriedigung durch Gehaltskürzungen, unbezahlte Überstunden, Urlaubsverzicht, fehlende Sozialleistungen. Noch besser aber wird es, als er seine Stelle in der Werbeagentur verliert, als Putzmann in einem Kaufhaus anheuert und mit fünf teilweise illegalen Teilzeitstellen knapp überleben kann. Der Höhepunkt seines Lebens als Arbeitssklave ist die Teilnahme an der «Human – Resources – Olympiade», bei der er mit seinem Bedürfnis sich ausbeuten zu lassen selbst gegen die Chinesen gewinnt. – Niemand schuftet ausdauernder und aufopferungsvoller als die Bewohner eines kleinen Landes in Europa, die in der Lage sind, aus Schmerz Lustgewinn zu ziehen.

«Safe, sane and consensual»: So lautet die Regel für sadomasochistische Verhältnisse. Und sicher, vernünftig und freiwillig sind auch die Arbeitsverhältnisse, denen wir uns unterwerfen. Der tschechische Autor Roman Sikora hat eine grelle, nachdenklich machende Farce über das pervertierte Verhältnis des Mitteleuropäers zu seiner Arbeit geschrieben, die den Nagel auf den Kopf trifft.

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