Wir sind selig!

Anna und Eric, Sophie und David sind typische «Ypsiloner». Sie gehören zu jener Generation, die nach Selbstverwirklichung in allen Lebensbereichen strebt und dabei die Frage nach dem Sinn des Seins und Tuns keine Sekunde aus den Augen verlieren. Nach dem Motto «Anything Goes» leben sie ein selbstbestimmtes, anspruchsvolles und gleichzeitig ambivalentes Leben in ihren Lofts oder Altbauwohnungen zwischen Eames-Stühlen und Minotti-Sofas in Berlin, Zürich oder Bern. Als «Digital-Natives» sind sie nie ganz auf sich allein gestellt, sondern mit WhatsApp, Facebook, Twitter über ihre Smartphones ständig mit der ganzen Welt verbunden. Das Suchen von Antworten und Lösungen in Netzwerken ist elementarer Bestandteil des Alltags. Geteiltes Wissen ist Macht und konstruktives Feedback bringt die Gemeinschaft sowie auch einen selbst weiter. Allerdings hat es in dieser Welt der Likes nur wenig Platz für Trauer und lebenserschütternde Nachrichten. Als Anna in ihrer ersten Schwangerschaft eine Fehlgeburt erleidet, wachsen in ihr nicht nur die Zweifel darüber, ob ihr Partner Eric der richtige Mann und der wirkliche Vater ist, auch ihr Mitteilungsbedürfnis steigert sich ins Groteske. Nachdem sie auf Facebook nicht die erwarteten Reaktionen erhält, lädt sie alle ihre Freunde zu einer Abschiedsfeier für ihr ungeborenes Kind ein. Sophie und David, die stolzen aber überforderten Eltern von Zwillingen, finden sich ein und eine bitter-böse Schlammschlacht nimmt ihren Lauf, in der sich die «Ypsiloner» nicht nur gegenseitig in ihrem hedonistischen Selbstverständnis entlarven, sondern auch die Probleme und Sehnsüchte einer ganzen Generation verhandeln.

Das Debutstück unserer diesjährigen Hausautorin Michèle Roten ist eine pointierte Bestandsaufnahme über die Konsequenzen einer Multioptionsgesellschaft. In scharfen Dialogen rechnet sie humorvoll aber gnadenlos mit der unerträglichen Grenzenlosigkeit des Seins ab.

Das Restaurant der Heiteren Fahne hat jeweils ab 18 Uhr geöffnet und serviert den Gästen ein spezielles Theatermenu. Reservationen unter: gastro@dieheiterefahne.ch


Picknick auf Golgatha

Was bleibt Gottes gefallenen Engeln heute noch zu tun? Das Böse ist schon lange in der Welt, die Menschen haben es selbst erfunden. Im freien Fall schauen diese Engel wie Zeugen auf die Erde. Hier hat sich der Mensch in einem von Götzen und Heilsbringern dominierten Konsumtempel mehr oder minder bequem einge­richtet. In seinem Ringen um Anerkennung und Lebenssinn hat er sich seine eigene Hölle geschaffen, sich selber versklavt. Das Inferno sind wir, ist hier. Rettung ist nicht in Sicht; funktions­fähige Flügel lassen sich eben leider nicht bei Ebay ersteigern …

Rodrigo García, geboren 1964 in Buenos Aires, hält mit «Pick­nick auf Golgatha» eine mehrstimmige Brandrede auf den Zu­stand der Welt. Der Fall der Engel auf die Schädelstätte wird nicht nur zu einer Auseinandersetzung mit falschen Heilsver­sprechen, sondern auch zum Versuch, mit dem In­-die­-Welt-­ge­worfen­-Sein fertig zu werden. Denn sterben muss jeder, und die Angst vor dem Tod ist furchtbar. Das 2011 vom Autor selbst ur­aufgeführte Stück zeigt die Kultur und Ikonographie des christ­lichen Abendlandes als Quelle der Gewalt. Es ist eine wütende Abrechnung mit der Haltungslosigkeit unserer Welt, die allein in der Bewahrung Sinn findet, aber nur durch Zerstörung Neues schaffen kann.


Cyrano de Bergerac

Seine Nase eilt ihm (fast) genauso weit voraus wie sein Ruhm. Und wer es wagt, ihn wegen seines allzu stark ausgebildeten Riechorganes aufzuziehen, hat wenig zu lachen. Schliesslich führt der Dichter Cyrano de Bergerac seinen Degen ebenso treffend wie er seine Worte zu setzen vermag; Rede­ und Fechtduelle mit ihm sind gleichermassen gefürchtet. Und doch ist der vielbegabte Dichter und Soldat untröstlich weil hoffnungslos verliebt in seine schöne Cousine Roxane. Er schämt sich einfach zu sehr für sein Äusseres, fühlt sich der Auserwählten unwürdig und fürchtet die Zurückweisung mehr als zu riskieren, ihr seine Liebe zu gestehen. Als er erfährt, dass ein Kamerad seines Regiments, der junge Adelige Christian de Neuvillette, seiner Roxane ebenfalls verfallen ist, leiht ihm der empfindsame Poet heimlich sein Talent, um Roxane für Christian zu gewinnen. Mit Erfolg: Roxane heiratet den attraktiven, aber etwas einfältigen Kadetten heimlich, bevor dieser in den Krieg zieht. Als der Kommandeur der französischen Truppen, Graf Guiche, von der Verbindung erfährt, schickt er, von Eifersucht gepackt, de Neuvillette und Cyrano umgehend an die vorderste Front – mit fatalen Folgen.

Edmond Rostands berühmtes Liebesdrama über den ersten Ghostwriter der Literaturgeschichte feierte im Winter 1897 in Paris Premiere. Im französischen Original in Alexandriner ge­fasst begeistert «Cyrano de Bergerac» seither sein Publikum im Theater wie im Kino durch treffsichere Pointen, mitreissende Gefechte, vollendete Poesie und anrührende Liebesszenen. Als ernsthafteres Vorbild der heutigen romantischen Komödien stellt Rostands Klassiker klug wie charmant die Frage danach, wie altruistisch wahre Liebe sein kann und sollte, was äusserer Schein mit inneren Werten zu tun hat und ob im Krieg und in der Liebe wirklich alles erlaubt ist.


Seymour oder ich bin nur aus Versehen hier

Leo, Heidi, Oskar, Robert und Max müssen abspecken. Ihre Eltern haben sie für viel Geld in die Obhut von Dr. Bärfuss gegeben, der in den Bergen hoch über der Baumgrenze ein renommiertes Kurhaus betreibt. Tagsüber übt sich die adipöse Jugend bei Liege­ und Sonnenkuren streng in der vom Klinikchef vorgegebenen Disziplin, nachts kommt es zum – ebenfalls geplanten – Schokoladen­ und Kuchenexzess. Als Vorbild und Motivation haben die fünf den dünnen Sebastian vor Augen, der allerdings seltsam regungslos auf der Gemeinschaftscouch der Station liegt. In der Abgeschiedenheit und Untätigkeit des Klinikalltags wünschen sich die jungen Kurgäste bald zu ihren Familien ins Tal zurück, sehnen sich sogar nach der Schule. Da aber die Patienten trotz aller Mühsal nicht an Gewicht verlieren und auch die erlösende Generaluntersuchung durch Dr. Bärfuss auf sich warten lässt, ist an ein Ende des Martyriums nicht zu denken. In Leos Kinderzimmer daheim wohnt ohnehin bereits – bis zu seiner Entlassung, so lautet die Abmachung – sein schlanker Cousin Seymour aus England. Kleingeld, um seine Eltern anzurufen, hat Leo schon lange nicht mehr, und als dann Max’ Mutter plötzlich aufhört, ihrem Sohn Kuchen zu schicken, bekommen es die jungen Patienten langsam mit der Angst.

Zwischen «Frühlingserwachen», «Der Zauberberg» und «Warten auf Godot» pendelnd, hat Anne Lepper mit «Seymour» eine düster­groteske Parabel auf den postmodernen Optimierungswahn des Menschen und die permanente Angst, nicht zu genügen, geschrieben. Die Autorin dieses böse­melan cholischen Werkes gehört zu den profiliertesten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik. Jahrgang 1978, absolvierte sie nach ihrem Geschichts­ und Literaturstudium am Literaturinstitut in Biel ein Masterstudium in Literarischem Schreiben. «Seymour» entstand 2011 als Werkauftrag für den Stückemarkt des Berliner Theatertreffen.


Der zerbrochne Krug

Gerichtstag in Huisum. Schon der kommt Dorfrichter Adam herzlich ungelegen. Findet sein Schreiber ihn doch am Mor­gen in kläglichem Zustand vor: klaffende Wunden an Kopf und Schienbein, das richterliche Ornat sichtlich ramponiert, von der Perücke fehlt gar jede Spur. Was genau dem Würdenträger über Nacht zugestossen ist, bleibt zunächst im Dunklen. Und jetzt auch noch das: Gerichtsrat Walter hat kurzfristig seinen Besuch angekündigt, um das Amt zu revidieren, Kassen und Re­gistraturen zu prüfen und Adams Prozessführung zu begut­achten. Als dann noch die aufgebrachte Marthe Rull mitsamt ihrer Tochter Eve und einem über Nacht auf so mysteriöse wie wüste Weise zerbrochenen Krug bei Gericht erscheint, wird die Lage im Gerichtssaal unübersichtlich. An diesem Tage geht es, so wird nach und nach deutlich, nicht bloss um ein unersetzba­res irdenes Erbstück aus dem Hause Rull, sondern um die Ehre des Fräulein Eve, um die ihres Verlobten Ruprecht Tümpel und nicht zuletzt um die des Dorfrichters höchstselbst. Hier ist ein Richter gezwungen, über seinen eigenen Sündenfall zu Gericht zu sitzen. Mit «Der zerbrochne Krug» schuf Heinrich von Kleist eine der brillantesten und bösesten Komödien der deutschsprachigen Theaterliteratur. Das 1808 bei der Uraufführung in Weimar beim Publikum noch durchgefallene Lustspiel hat seitdem Zuschauer wie Spieler durch seine bildhafte und pointenreiche Sprache und die ins Groteske spielende Suche nach Recht und Wahrheit in seinen Bann gezogen. Entstanden aus einem Dichterwett­streit mit Ludwig Wieland erzählt «Der zerbrochne Krug» den Sündenfall des Adam, der über seine Gier nach Eve stolpert und darüber den Krug und seine Ehre mit in die Tiefe reisst. Dass Kleist seinen tragikomischen, mit der Erbsünde belegten Anti­helden auch noch mit einem Klumpfuss ausstattet, macht ihn zu einem Verwandten von Ödipus und dem Leibhaftigen selbst; ihm bei seinen (Aus)Flucht-­ und Rechtsbeugungsversuchen zu­zuschauen, ist ein fast schon göttliches Vergnügen.


Die Ilias

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Vor 3000 Jahren wurde die «Ilias», eines der ersten Werk der Weltliteratur, geschrieben. Homer, von dem man heute nichts mehr weiss, war möglicherweise ein blinder Rhapsode, der das gewaltige Epos singend zum Besten gab. 24 Kapitel lang ist es, die Buchfassung umfasst ca. 600 Seiten.

Die Mytholgie lässt den Trojanischen Krieg durch einen Schönheitsstreit dreier Göttinnen ausbrechen. Aphrodite, Athene und Hera forderten Paris, Sohn des Trojanischen Königs Priamos auf zu bestimmen, wer von ihnen die Schönste sei. Aphrodite versprach ihm zum Dank für seine Wahl die Griechin Helena, die schönste Frau der Welt. Dieser Frauenraub entfesselte die Rache von Helenas Ehemann Menelaos. Dessen Bruder Agamemnon, ist der der militärische Oberbefehlhaber über eine riesige Flotte. Zahllose griechischer Stämme segeln gen Troja, belagern die Stadt und liefern sich vor der Stadtmauer mit den Trojanern Gefechte, bis endlich der schlaue Odysseus mithilfe eines hölzernen Pferdes einer Vorhut weniger Griechen Zugang zu der bis dahin unneinnehmbaren Stadt Troja verschafft. Troja wird von den Griechen dem Erdboden gleichgemacht.

Die «Ilias» schildert nur etwa zwei Monate im letzten Jahr des zehnjährigen Krieges. In ihr kommen weder die Vorgeschichte des Schönheitswettbewerbes, noch die jedem Kind bekannte List mit dem Trojanischen Pferd vor. Im Zentrum der «Ilias» steht vielmehr der Zorn des Achill über eine Ehrverletzung seines obersten Kriegsherrn Agamemnon, aufgrund der er seine Truppen vom Kampf fernhält, was die Griechen in eine empfindliche Defensive treibt. Schliesslich führt Achills Freund Patroklos statt seiner die Truppen Achills im Kampf an und fällt – getötet von der Hand Hektors, des Hoffnungsträgers der Trojaner. Der Verlust des geliebten Freundes versetzt Achill in Raserei, so dass er in einem Zweikampf Hektor tötet und dessen Leiche schändet. Zehn Tage währt die Kampfpause zur Bestattung der Leiche Hektors, danach wird weitergekämpft…

Die «Ilias» ist eine Geschichte voller Zweikämpfe und Schlachten, Gemetzel und Tod, Zweifel und Angst, Trauer und Leid, Willkür und Mut, die aber auch auf beiden Seiten der Frontlinie von Liebe und der Sehnsucht nach einem Ende des Krieges handelt. Zu Lebenzeiten Homers lag der Trojaische Krieg bereits etwa 400 Jahre zurück. Heute trennen uns von den Schlachten am Hellespont 3000 Jahre. Das grausame Gesicht des Krieges wird in der «Ilias» allerdings in einer Art und Weise beschrieben, dass man sich fragen muss, ob der Mensch in drei Jahrtausenden nichts dazugelernt hat. Möglicherweise ist die traurige Tatsache, dass Krieg unausrottbar zum Menschsein dazuzugehören scheint, auch Grund dafür, dass die «Ilias» ungebrochen populär und aktuell ist. Derzeit finden 35 Kriege und bewaffnete Konflikte weltweit statt, deren Folgen mittelbar und unmittelbar auch in der Schweiz spürbar sind.

Das Theaterprojekt stützt sich in einer notwendigerweise radikalen Strichfassung auf die jüngste Übersetzung des Werkes, die 2008 von dem österreichischen Autor Raoul Schrott mit dichterischer Freiheit und Poesie vorgenommen wurde.

Mit den Schauspielerinnen und Schauspieler des Ensembles sowie:

Bèti Adhanom, Kathy Bitar, Sahar Bitar, Nahid Ghanbari, Ayfer-Dersim Güler, Roza Isik, Mira Koch, Serge Pacome Bably, Samuel von Dach, Ahmad Eghdami, Julius Ernst / Mats Mader, Serge Ayaovi Gadeka, Yao Mawuli Hounkpati, Vinh Ngoc Nguyen