Ich werde hier sein im Sonnenschein…

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Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten

Lenin hat 1917 das Exil in der Schweiz nicht verlassen, sondern hier die Sowjetunion gegründet. Russland ist von Minsk bis zum Ural verstrahlt und unbewohnbar, die Amexikaner sind in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit abgesunken und haben ihre Grenzen dicht gemacht; aufstrebende Staaten sind Hindustan und Korea. Neu-Bern ist eine der Hauptstädte des bolschewistischen Riesenreichs, das bis nach Schwarzafrika reicht, wo Schweizer Divisionäre das Land zivilisiert, urbanisiert, Schulen, Krankenhäuser, Universitäten und auch Militärschulen aufgebaut haben. «Die Schweiz, sie verdankt Afrika viel.» Vor allem Nachschub an Menschenmaterial, das den Krieg führt, der nun schon so lange dauert, dass sich niemand mehr an Frieden erinnern kann.

Aus Nyasaland (heute Malawi) stammt die Hauptfigur des Romans, ein afrikanischer Offizier, der vom Obersten Sowjet als Parteikommissär in die Schweizerische Sowjetrepublik beordert wird. Er soll in Neu-Bern einen ideologisch verdächtigen jüdisch-polnischen Offizier festnehmen. Zu Pferd verfolgt er den Flüchtigen Richtung Alpen aareaufwärts durch ein kriegsmüdes, zerfallendes Land, bis er schliesslich durch einen Eingang im Schreckhorn das Réduit betritt. Dieses mythische Zentrum des Landes, «Kern, Nährboden und Ausdruck unserer Existenz», trotzt seit 96 Jahren den Angriffen der Faschisten. In den unendlichen Gängen des Réduits findet der Kommissär zwar den Gesuchten, verliert sich jedoch unter dessen Führung in einer Fülle von psychedelischen Eindrücken, bis er es schafft, die Alpenfestung gen Süden, gen Afrika zu verlassen.

Der Roman des polyglotten Schweizer Autors Christian Kracht erschien 2008. In ihm gehen Geschichtsparodie, Sprachkritik, Dystopie, Phantastik und Poesie eine wundersame Verbindung ein, die direkt ins Schweizer Herz der Finsternis führt. Und so wird das Stück in einem vor den Toren Berns gelegenen Steinbruch spielen, der seit etwa 650 Jahren in Betrieb ist.


Volpone oder der Fuchs

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Volpone, der Fuchs, hat keine Erben, jedoch ein nicht allzu bescheidenes Vermögen. Auf dem Sterbebett liegend, bietet er demjenigen sein Erbe an, der ihn am besten behandelt – und am meisten in ihn investiert. Doch Volpone spielt falsch und ist in Wirklichkeit kerngesund, die Wette auf den eigenen Tod also ein einziger Bluff.

Zusammen mit seinem Verbündeten Mosca, die Mücke, spielt Volpone lustvoll ein risikoreiches Spiel: Sie denken, zusammen sind sie schlauer als der Advokat Voltore, der mit einem goldenen Becher als Gastgeschenk kommt; gerissener als der Geizkragen Corbaccio, der einen Ring mit Diamanten präsentiert bevor er seinen eigenen Sohn zum Wohle Volpones enterbt; klüger als der Kaufmann Corvino, der sein letztes Geld bringt und bereit ist, seine eigene Frau Colomba zu prostituieren, damit Volpone ihn zum Alleinerben macht. Beim von Mosca herbeiintrigierten und erzwungenen Stelldichein mit Colomba kommt es jedoch zum Skandal, weil Leone, Corbaccios enterbter Sohn, mit gezücktem Degen das Tête-à-Tête verhindert. Vor Gericht wird der Fall aufgerollt, doch nach wie vor ist die Gier nach Gold grösser als der Wahrheitssinn der Zeugen, und es braucht einige Zeit, bis der alles durchschauende weise Oberrichter konstatiert: «Verbrecher mästen sich am Bösen wie am Gras das Vieh, bis sie die Schlachtbank ruft. Dann bluten sie.» Bis dahin jedoch haben die Erbschleicher genügend Zeit, ihre von Geiz, Gier, Vorteilsdenken und Opportunismus verkrüppelten Charaktere auf das trefflichste zu enthüllen und daraus eine Menge an Komik zu entwickeln. Die sprechenden Namen sind deutlich: Geier, Habicht, Rabe, Krähe und auch Mücke wittern das Aas des Fuchses und vergessen darüber alles, was Menschsein eventuell ausmacht.

Im gleichen Jahr wie «König Lear» aufgeführt (1605) ist «Volpone» ein Stück ganz anderer Art: Als Vorläufer der Typenkomödie – Molières «Geiziger» scheint hier schon durch – macht diese Komödie den Zuschauer zum Mitwisser und führt eine groteske Galerie von Menschen mit tierischen Eigenschaften vor.

Die Regisseurin Claudia Bauer, geboren 1966 in Landshut, inszenierte den „Volpone“ in der Spielzeit 2013.2014 am Konzert Theater Bern in einer eigenen Fassung und ihrer kräftigen und von den biomechanischen Prinzipien Meyerholds inspirierten Spielweise. Für Graz wird sie die Inszenierung adaptieren und neu einrichten.

Freie Bearbeitung von Stefan Zweig


Maria Stuart

Die schöne, leidenschaftliche, stolze Schottin Maria Stuart ist als Kronprätendentin in England unter Verstoss gegen jegliches Völkerrecht unter Hausarrest gestellt. Maria fühlt sich zwar nicht unschuldig, hat aber in 19 Jahren Haft jeden Machtanspruch aufgegeben, zu demütiger Frömmigkeit gefunden und die Schuld ihrer Meinung nach abgesessen.
«Umgeben rings von Feinden» regiert ihre englische Cousine Elisabeth als starke Königin, die mit erfolgreicher Kriegsführung und kluger Politik England befriedet hat. Als uneheliches Kind und unverheiratete Frau lebt sie allerdings mit der Angst, ewig um den Thron bangen zu müssen, den sie spätestens nach ihrem Tod an die katholische Maria oder deren Erben abgeben müsste.

42 englische Richter haben Maria Stuart nun zum Tode verurteilt, und Elisabeth obliegt es, dieses Todesurteil in letzter Instanz zu bestätigen oder aufzuheben. Die Herrscherin, die ihr Volk mehr lieben soll als sich selbst, die dessen Wohlergehen auch über den eigenen Tod hinaus erhalten will, entscheidet sich für das Todesurteil – und bleibt allein zurück, verlassen von ihren männlichen Beratern, die ihr Heil anderswo suchen.

Heute sind weltweit 20 der 180 Staatsoberhäupter Frauen. In Friedrich Schillers Königinnendrama, geschrieben 1800, kämpfen zwei Frauen in Spitzenpositionen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür, in einer Männerwelt anerkannt, geachtet und gerecht behandelt zu werden. Staatsraison gegen Gewissen, privates Gefühl gegen politisches Interesse – an dieser Konfliktlinie richtet Schiller die Handlung des Stückes aus.
Daneben ist «Maria Stuart» aber auch eine geschichtsphilosophische Betrachtung darüber, wie sich (irdisches) Recht und (himmlische und irdische) Gerechtigkeit zueinander verhalten; es beschäftigt sich mit der Rolle, die das Gewissen des Mächtigen als letzte seelische Instanz spielt, und stellt auch heute noch die Frage, welchen Preis Frauen in Machtpositionen bezahlen.


Kleiner König Kalle Wirsch

KONZERT THEATER BERN

Wie jedes Kind weiss, haust unter der Erde das Volk der Erdmännchen. Seit 1000 Jahren wird es gut und gerecht von Kalle Wirsch regiert, Herrscher über die Stämme der Wolde, Trumpe, Wirsche, Gilche und Murke. Zur Zeit hat Kalle Wirsch allerdings allen Grund, etwas unwirsch zu sein, denn ihm wird der Thron streitig gemacht. Zoppo Trump, Stammesfürst der Trumpe, fordert Kalle Wirsch nach alter Erdmännchensitte zum Zweikampf, der drei schwierige Aufgaben umfasst: einen Stein mit der Hand durchstossen, einen Kristall zum Wachsen bringen und den Gegner durch blosse Gedankenkraft schrumpfen lassen.

Doch da Pünktlichkeit die Höflichkeit der Könige ist, besagt das alte Erdmännchengesetz folgendes: Erscheint der Throninhaber zu spät zum Zweikampf auf der Erdmännchenburg, fällt die Krone kampflos an den Herausforderer. Diesen Umstand will sich Zoppo Trump zunutze machen, der nicht nur fies, sondern auch feige ist. Mit der Hilfe seines Kumpans, einer Ratte, stellt er Kalle Wirsch eine Falle nach der anderen – in die jener eine nach der anderen nicht hineinfällt. Pünktlich erscheint Kalle Wirsch auf der Erdmännchenburg, und der Zweikampf beginnt.

Der kleine König, der ein grosser (wenn auch etwas grummeliger) Herrscher ist, stammt von der deutschen Kinderbuchautorin Tilde Michels (1920 – 2012). Berühmt wurde Kalle Wirsch als Marionette der Augsburger Puppenkiste, einem grossen Publikum bekannt durch die Verfilmung des Marionettentheaters durch das deutsche Fernsehen im Jahre 1970. Diese Verfilmungen lassen noch heute kleine (und grosse) Kinderherzen höher schlagen. Für Kinder ist es eine Geschichte zum Mitfiebern, für Erwachsene zum Lachen. Die grossen Konflikte eines Königsdramas spielen sich hier im Kleinformat ab: Gut gegen Böse, Hinterlist gegen Ehrlichkeit, Opportunismus gegen Freundschaft. Bloss, dass im Kinderstück am Ende das Böse auf ein unschädliches Format zurechtgeschrumpft wird.


King Lear

Kultur - Theater

Es beginnt wie in einem Märchen: Ein alter König dankt ab und teilt sein Reich unter seinen Töchtern auf. Doch da seine Lieblingstochter nicht in der erwarteten Weise ihre Liebe zu ihm äussert, verstösst er sie und schlägt ihr Drittel den beiden älteren Schwestern zu. Er will lediglich die Königswürde behalten und abwechselnd bei einer von beiden wohnen. Doch schon bald verstört der Vater die Gastgeberinnen mit seiner Lebenslust, so dass sie ihn schliesslich vor die Tür setzen.

Sind die reich beschenkten Töchter böse Biester, die dem Alten einen guten Lebensabend nicht gönnen oder lebt der Senior auf dem Rücken der Kinder anarchistisch-rücksichtslos seine neu gewonnene Freiheit aus? Oder ist sein Wahnsinn gar eine Form von Demenz ? Wie oft bei Shakespeare sind die Motive rätselhaft und die Charaktere so vielschichtig, dass sich diese Fragen nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantworten lassen, vielmehr Spielraum für Interpretation geben. Fakt ist, dass Lear, von seinen älteren Töchtern verstossen, durch die Welt irrt. Er ist scheinbar wahnsinnig geworden, wird begleitet nur von einem Narren und dem treuen Grafen von Kent. In einer Sturmnacht wird das seltsame Trio um einen nackten, jungen Mann ergänzt, der sich seinerseits aus Verzweiflung über seinen Vater in den Wahnsinn geflüchtet hat.

Undank der Kinder und Willkür der Eltern, echte geistige Umnachtung und Wahnsinn als Schutzfunktion des Verstandes, dazu die professionelle Verrücktheit des Narren und die wahnsinnigen Naturgewalten in der Sturmnacht auf der Heide – die Begegnung der drei Verrückten und ihr philosophisches Gespräch ist Höhe- und Wendepunkt des Dramas, das zeigt, wie dünn der Firnis der Vernunft, wie ungeschützt der Mensch sämtlichen Kräften der Natur ausgesetzt und wie sehr er nichts weiter als ein nacktes, armes Tier ist, sobald er aller Ämter, Würden und äusserlicher Statuszeichen entkleidet ist.