Der zerbrochne Krug

Gerichtstag in Huisum. Schon der kommt Dorfrichter Adam herzlich ungelegen. Findet sein Schreiber ihn doch am Mor­gen in kläglichem Zustand vor: klaffende Wunden an Kopf und Schienbein, das richterliche Ornat sichtlich ramponiert, von der Perücke fehlt gar jede Spur. Was genau dem Würdenträger über Nacht zugestossen ist, bleibt zunächst im Dunklen. Und jetzt auch noch das: Gerichtsrat Walter hat kurzfristig seinen Besuch angekündigt, um das Amt zu revidieren, Kassen und Re­gistraturen zu prüfen und Adams Prozessführung zu begut­achten. Als dann noch die aufgebrachte Marthe Rull mitsamt ihrer Tochter Eve und einem über Nacht auf so mysteriöse wie wüste Weise zerbrochenen Krug bei Gericht erscheint, wird die Lage im Gerichtssaal unübersichtlich. An diesem Tage geht es, so wird nach und nach deutlich, nicht bloss um ein unersetzba­res irdenes Erbstück aus dem Hause Rull, sondern um die Ehre des Fräulein Eve, um die ihres Verlobten Ruprecht Tümpel und nicht zuletzt um die des Dorfrichters höchstselbst. Hier ist ein Richter gezwungen, über seinen eigenen Sündenfall zu Gericht zu sitzen. Mit «Der zerbrochne Krug» schuf Heinrich von Kleist eine der brillantesten und bösesten Komödien der deutschsprachigen Theaterliteratur. Das 1808 bei der Uraufführung in Weimar beim Publikum noch durchgefallene Lustspiel hat seitdem Zuschauer wie Spieler durch seine bildhafte und pointenreiche Sprache und die ins Groteske spielende Suche nach Recht und Wahrheit in seinen Bann gezogen. Entstanden aus einem Dichterwett­streit mit Ludwig Wieland erzählt «Der zerbrochne Krug» den Sündenfall des Adam, der über seine Gier nach Eve stolpert und darüber den Krug und seine Ehre mit in die Tiefe reisst. Dass Kleist seinen tragikomischen, mit der Erbsünde belegten Anti­helden auch noch mit einem Klumpfuss ausstattet, macht ihn zu einem Verwandten von Ödipus und dem Leibhaftigen selbst; ihm bei seinen (Aus)Flucht-­ und Rechtsbeugungsversuchen zu­zuschauen, ist ein fast schon göttliches Vergnügen.